Es ist Sonntagmorgen, ich höre bei einer Tasse Kaffee gespannt den Ausführungen des Moderators im Radio zu. Es geht mal wieder um Corona, Quarantäne, Kontaktbeschränkungen und am Ende um Einsamkeit. Der Moderator berichtet über Projekte von Regierung und Vereinen, Menschen zu helfen, die zunehmend mit den Folgen der Pandemie nicht mehr zurecht kommen. Es sind Projekte wie Gartenarbeit, Spazierengehen , letztlich Zeiten zur Besinnung. Ich bin erstaunt und schon fast ein wenig amüsiert über die Ausführungen des Moderators. Vieles, was er aufzählt, gehört seit Jahren zu meinem normalen Lebensabläufen. Aber was ist heute schon normal?
Für mich ist und war es schon immer "lebens-Not-wendig" Spazieren zu gehen, dabei Dinge zu berühren, Steine anzufassen, sich zu setzen und ein Landschaftsbild auf sich wirken zu lassen oder - alleine oder gemeinsam mit jemandem - das Leben zu reflektieren. Der immer gleiche Weg, den ich dabei gehe, wirkt immer anders. Je nach Tages- oder Jahreszeit ist „sein Gesicht“ ein anderes. Auch mein eigener Gemütszustand interpretiert die Szene mit.
Nach der Radiosendung stelle ich mir - mal wieder - ein paar Fragen:
Wie steht es um die Beziehung zu mir selbst? Blicke ich zu häufig dem hinterher, was andere von mir denken und ob ich genügend „likes“ von Ihnen bekomme? Stimmen meine Posts, Bilder oder mein heutiges Outfit!
Spirituelle Lehrer von der Antike bis heute haben den Begriff „Zerstreuung“ geprägt. Vieles prasselt tagtäglich auf uns ein, , fordert unsere Aufmerksamkeit, permanent müssen wir urteilen, unser Verhalten rechtfertigen oder prüfen. "Ist das wahr oder sind es wieder fake news?“ Einen ähnlichen Streit führten einst schon Alexander von Humboldt und Johann Wolfgang von Goethe. Letzterer vertrat die Ansicht, die Kontinente erhöben sich aufgrund von Vulkanismus aus den Meeren. Alexander von Humboldt bemerkte auf seinen Reisen, das die Kontinente driften - anders als die übliche Wissenschaft damals dachte. Zunächst musste Humboldt Spott über sich ergehen lassen, als er seine Theorie den anerkannten Gelehrten vorstellte. Heut wissen wir, Humboldt hatte Recht. Er war kein Mensch, der sich (Verschwörungs-) Theorien ausdachte oder sich durch Quacksalber beeinflussen ließ. Er hatte akribisch gearbeitet, wissenschaftlich sehr sehr genau.
Und wir heute? Wem schenken wir Glauben? Den lautesten Stimmen? Die Ironie des Geschehens konnten wir im Wahlgeschehen der USA live miterleben, wo nun einer von seinen eigenen fake news eingeholt und überführt wird.
Zurück zum Spaziergang. Probieren Sie ihn doch einfach mal wieder aus - (unbedingt) ohne Smartphone. Wem schenke ich mein Ohr? Merke: Es ist dein großes Vorrecht, dies selbst zu bestimmen. Was hörst du, wenn du einmal in dich hinein hörst? Dürfen Herz oder Seele zu dir sprechen? Meldet die Psyche womöglich „Vorsicht Kollaps“?
Was höre (und sehe) ich, wenn es äußerlich mal ganz ruhig wird?
Als ich von neuen Projekten gegen die Einsamkeit hörte, dachte ich „Das gab es doch im ´analogen Zeitalter´ schon einmal.“ Das Leben stand nicht unter dem Diktat der tausend Möglichkeiten, sondern unter„normalen“ Abläufen von Werden und Vergehen, Gestalten und geschehen lassen, dem Rhythmus von Natur und Schöpfung. Und ich darf daran teilhaben ohne mich in Pose zu setzen, darf mitmachen oder genießen, arbeiten und feiern, alles zu seiner Zeit.
Ich finde übrigens nicht, dass „früher alles besser“ war. Aber vielleicht ist hier ein schlauer Satz der Bibel ein hilfreicher Kompass bei der Frage, was machen wir in und nach der Coronakrise mit dem was wir erlebt haben und was möchte ich ändern: „Prüft alles, und behaltet das Gute“! (Paulus in 1 Thessalonicher 5, 21 - Die Bibel)